Dippermouth Blues
Creole Jazz
Mandy Make up your Mind

(Loys Choquart and his Creole Jazz, 09.05.1952)

Just You, Just Me

(Loys Choquart Ensemble, 18.05.1954)

Schellack-Diskografie Loys Choquart 

Loys Choquart, * Genf, 11.10.1920, † Puplinge, 10.12.1989

Archivdaten von Loys Choquart >>>

Jazzmusiker (Tenor- und Altsaxophon, Klarinette) und Radiomoderator

Loys Choquart wurde am 11. Oktober 1920 in Genf geboren. Vom fünften Lebensjahr an erteilte ihm seine Mutter, eine hervorragende Musikerin, Klavierunterricht. Mit sechzehn Jahren lernte er zusätzlich Klarinette und Saxophon, wobei ihm die Ratschläge von Coleman Hawkins, der im Dancing Mac Mahon gastierte, zugute kamen. Ab 1939 betreute Loys Choquart regelmässig Radiosendungen für Radio Genève. In jener Zeit waren diese die einzigen Jazzproduktionen in französischer Sprache, da im besetzten Frankreich der amerikanische Jazz verboten war. Während der nächsten zwanzig Jahre wurde Choquart über die Landesgrenzen hinaus bekannt und motivierte damit viele Musikertalente. 1942 gründete er die New Rhythm Kings zusammen mit Musikern wie Eric Brooke (tp) und Bib Thévenaz (p). In dieser Zeit nahm er die erste Schalplatte für das Label Parlaphone auf. Von 1943 bis 1951 leitete er sein bekanntestes Orchester, die Dixie Dandies. In dieser Formation traten junge Musiker auf, welche später von sich reden machten: der Pianist Henri Chaix, der Schlagzeuger Pierre Bouru, der Saxophonist Gérard Matzinger und der Bassist Roger Dannhauer. In der Schweiz waren die ausgezeichneten Musiker der Dixie Dandies sehr erfolgreich, nicht zuletzt dank den exzellenten Arrangements im Stil von Fletcher Henderson und Duke Ellington. 1952 stellte Loys Choquart ein Orchester im typischen New-Orleans-Stil zusammen mit den beiden berühmten Trompetern Francis Selleger, dem Mitstreiter der ersten Stunde, und Francis Bonjour, Nachwuchs aus Neuenburg, der sich später bei den Wild Cats auszeichnete. In der Formation, genannt „Creole Jazz“, waren ebenfalls dabei Bibus Dufour (tb) und Alain Du Bois (bjo). Die Schallplatten, welche für Columbia aufgenommen wurden, erhielten 1955 den Prix Jazz Hot. Loys Choquart löste dann das Orchester auf und richtete sich musikalisch neu aus. Das Altsaxophon wurde zu seinem Hauptinstrument, und er gründete ein Quintett mit einem Vibraphon und einer eher modern spielenden Rhythmusgruppe. In dieser Formation traten die Vibraphonisten Body Buser und André Zumbach, die Pianisten René Gency und François Martin, der Bassist Roger Dannhauer sowie die Schlagzeuger Willy Bosshardt und Raymond „Mike“ Thévenoz auf. Gency und Dannhauer, beide in leitender beruflicher Stellung, trauten sich nicht, unter ihrem eigenen Namen aufzutreten. Auf Plakaten und für Schallplattenaufnahmen verwendeten sie die Pseudonyme René Lecy beziehungsweise Slam Le Dada. Die bessere Gesellschaft begann allmählich den Jazz als salonfähig anzusehen. Jazzmusiker hingegen hatten immer noch nicht den besten Ruf. 1955 übernahm Loys Choquart den Nightclub La Tour und verliess vorübergehend die Jazzszene. Erst 1977 fand er zum Jazz zurück.

Dank seiner Radiosendungen und dank seiner aussergewöhnlichen Persönlichkeit genoss Choquart grosses Ansehen. Gross gewachsen, von stattlichem Aussehen und immer elegant gekleidet, liebte er das gute Essen, einen edlen Tropfen und das Schöne. Er war ein echter Epikureer und zugleich ein geistreicher und charmanter Grandseigneur. Andererseits war er auch ein harter und mit allen Wassern gewaschener Geschäftsmann und hatte nicht nur Freunde in der Jazzszene. Auf alle Fälle war er in seiner Zeit ein echter Leader, der zahlreichen Musikern am Anfang ihrer Karriere half.

Als ich (Michel Pilet) 1953 von Frankreich nach Genf übersiedelte, um mein Studium abzuschliessen, kannte ich noch niemanden in der Stadt. Nach einem Telefon mit Loys Choquart wurde ich sogleich eingeladen, bei einer Probe des Orchesters zuzuhören. Ich war sehr beeindruckt. Kurze Zeit darauf spielte ich regelmässig mit einem kleinen Orchester in der Garage einer Villa in Ambilly, in der Nähe von Annemasse. Loys Choquart kam mehrmals ungezwungen dazu und spielte mit. Manchmal brachte er auch seine beiden Mitmusiker René Gency oder Mike Thévenoz mit. Als musikalischer Anfänger profitierte ich enorm von diesen Begegnungen. Dies zeigt, dass Choquart, auch wenn er zeitweise eingebildet und von sich eingenommen erscheinen mochte, durchaus auch sympathische Seiten besass.

Er war ein sehr versierter Klarinettist mit exzellenter Technik etwa im Stil von Barney Bigard oder Omer Simeon. Am Altsaxophon besass er einen starken Ton, und seine Spielart und sein Temperament erinnerten an Russel Procope. Loys Choquart starb im Dezember 1989 im Alter von 69 Jahren nach langer Krankheit.

-

1983 trat ich (Michel Pilet) vom Amt des Präsidenten der AGMJ (Association genevoise des musiciens de Jazz) zurück und Gérard Guglielminotti wurde mein Nachfolger. Das Café des Négociants wurde geschlossen, und dank dem Einsatz von Loys Choquart wurde eine neue Begegnungsstätte, das Restaurant des Halles de l’Ile, gefunden. Es blieb über lange Jahre das Hauptlokal der Orchester der AGMJ. 

(Michel Pilet, Übersetzung aus dem Französischen: André Hager. Aus Bruno Spoerris „Jazz in der Schweiz - Geschichte und Geschichten“)

 

Loys liebte Witze, vor allem die frechen. Wie wir alle hatte er viele Qualitäten und Fehler. Er war elegant, charmant, ein Feinschmecker und ein Narziss. Aufschneider, trickreich bis zur Hinterlist, aber nie aufsässig, gleichzeitig sparsam wie verschwenderisch, und vor allem… er liebte Gags. Im Übrigen liebte er das Leben, den Jazz, die Frauen, guten Whisky, und ich glaube, mit der Zeit lernte er auch seine Freunde zu schätzen. Hinzuzufügen wäre noch: Fröhlicher Kumpel, Geniesser, anspruchsvoller Musiker, strenger Manager. Man brachte ihm Anerkennung und Respekt entgegen, Gefühle von einer Generation von Genfer Jazzmusikern, die ohne ihn nie dieselben gewesen wären.

Ich lernte Loys Choquart 1943 kennen. Ich war ein Jugendlicher, der Lust hatte, Jazz zu spielen. Wir hatten etwa 10 Jahre Altersunterschied. Er befand sich auf dem Zenit der Schweizer Jazzentwicklung: Gefragter Klarinettist, Radio-Moderator, Mitarbeiter bei der „Jazz-Revue“, Mitorganisator diverser Veranstaltungen; er war eine Persönlichkeit mit markantem Charakter. Im Sommer in weissen Leinenkostümen, im Winter in bestem Flanell mit bunten Krawatten und grellfarbigen Gilets, häufig geschmückt mit einem Cowboyhut mit aufgebogenem Rand, dazu passende Lack- oder Krokodilschuhe, so zog er die Blicke auf sich. Oft begleitet von zwei ebenso fröhlichen Gestalten wie er selbst eine war: Pierre Guiyonnet und Bop Thévenaz, ein lockeres, furchtloses Trio. Fügt man noch eine oder zwei der schillerndsten Frauenfiguren der Zeit hinzu, versteht man, dass die Jüngsten, zu denen ich gehörte, von diesem Swing-Dandy fasziniert waren.

Während 10 Jahren trafen wir uns in denselben Orchestern. Wenn ich aus den vielen Erinnerungen eine auswählen müsste, wäre es diejenige an ein Konzert in Porrentruy ca. 1946. Wir spielten in einem Theater.

Loys übte in den Kulissen und kaum hatte er eine prächtige „Uncle Sam“-Perücke entdeckt, verpasste er diese dem Henri Chaix und präsentierte dem Publikum als sensationellen Gaststar Jelly Roll Morton, der zufällig in Porrentruy vorbeigekommen sei und ein paar seiner Ragtime-Nummern spielen werde. Loys liebte solche Scherze.

Während der Kriegszeit begleiteten mich seine Radiosendungen, der einzig mögliche Kontakt mit dem Amerikanischen Jazz.

Auszug aus dem Nachruf von Jean-Pierre Allenbach in der Kirche Puplinge am 13. Dez. 1989:

Wenn Loys spielte, war er in seinem Hauptelement. Er drückte sich total ungeschminkt aus. Stunden und Ort waren vergessen, die Musiker um ihn waren die Stimmen, in denen er aufging und die ihn gleichzeitig befreiten, ihm halfen, eine viel realistischere und wahrhaftigere Botschaft rüberzubringen, als es die starren Regeln der gesprochenen Sprache erlaubt hätten.

Wenn man dann noch die Intensität betrachtet, mit der er sein Publikum in seinen Bann zog, muss man sagen, Loys Choquart war im wahrsten Sinne des Wortes ein Meister der Kommunikation.

(Pierre Bouru, „En musardant sur le temps“, Übersetzung aus dem Französischen: SJO)

 

Unsere Hauptinformationsquelle war Loys Choquart, eine unverwechselbare Persönlichkeit, auch dank seinem musikalischen Talent und seinen Kompetenzen in der Produktion von Jazz-Sendungen bei Radio Genève, die man hörte bis nach… Basel und Lyon!

Es gab in Genf, so scheint mir, zwei Gruppen von Musikern: Die Amateure, stolz da zu sein, und die Professionellen, die sich als die einzigen Verfechter der Wahrheit sahen, die aber tatsächlich im Irrtum waren. Die Amateure verteidigten die ‚Reinheit‘ des Jazz, die Professionellen agierten mit einer eher kommerziell orientierten Praxis.

Unter den ersten, die die Gesetze machten in der Genfer Szene, war die Jam-Band (Loys Choquart, Francis Selleger, Roland Berger, Jean-Walter Simoness und Jean Badoud). Sie lebten mit der Erinnerung an den Tenorsaxophonisten Coleman Hawkins, der während zwei Monaten im Herbst 1936 im Mac Mahon in Genf gespielt hatte.

Ich kannte Loys Choquart, Jazz-Verantwortlicher bei Radio Romande, und Kurt Mohr, Sammler, Kritiker und Analytiker, kultiviert und passioniert. Da hatten sich zwei gesucht und gefunden, und während einer bestimmten Zeit wurden sie zu Göttern für mich.

Choquart war auch ein guter praktizierender Musiker. Dank ihm verstand ich, dass Jazz gehört und diskutiert werden kann, aber vor allem gespielt werden soll.

Loys Choquart wollte sich dem New Orleans-Stil annähern, was bei den vorherigen Dixie Dandies nicht der Fall gewesen war. Die beiden Trompeter transportierten einen beträchtlichen Punch für die melodische Konzeption dieser Formation

Ein anderes schönes Souvenir, an das ich mich besonders gerne erinnere, war ein Tag anfangs Mai 1953, den Loys Choquart und ich zusammen mit Django Reinhardt verbrachten. Loys, bereits vielbeschäftigt bei Radio Genève, hatte unverhofft erfahren, dass Django Reinhardt in der Umgebung von Genf ‚campierte‘. Er stieg in seinen Geschäftswagen, mit dem Ziel, ihn zu interviewen, und fand ihn schliesslich an einem Flusslauf am Fusse des Juras. Der Künstler war dort, mit ein, zwei seiner Freunde, in einem Wohnwagen, ganz wie ein Zigeuner, so lebte er…von gefangenen Forellen.

Claude Tappolet: War es nicht während dieser Jahre, von 1953 – 1954, als Loys Choquart sein neues Quintett gründete?

Pierre Bouru: Loys Choquart hatte sich entschieden, das, was sein letztes Orchester sein würde, zu gründen, und zwar in der Form eines Quintettes, das ganz anders war als das, was er bisher getan hatte. Er spielte nur noch Altsaxophon, in einem Stil zwischen Benny Carter und Willie Smith (wie er bei Jimmie Lunceford spielte). Er umgab sich mit neuen Musikern. René Gency war am Piano und André Zumbach am Vibraphon, und diese zwei Instrumentalisten, zusammen mit dem Saxophon von Loys Choquart, verliehen dem Ensemble eine besondere Klangfarbe. Er beauftragte auch zwei flexible und solide Rhythmiker, Mike Thévenoz am Schlagzeug und Slam-le-Dada am Bass. Es war gut und es swingte. Hätte es anders gewesen sein können bei Loys Choquart?

Am Anfang der Sechziger-Jahre sah man die Gründung von zahlreichen neuen Orchestern. Loys Choquart machte nichts mehr. Er hatte kein Orchester mehr. Er hatte einen Nightclub/Jazzclub eröffnet, La tour, in der Altstadt von Genf. Doch ausser Auftritten von Don Byas, ausserdem Stéphane Grappelli, Guy Laffite und Pierre Cavalli, war der Club mehr „Night“ als „Jazz“: Er war ein Dancing. Er wollte ein „Whisky à Gogo“ sein, ohne dass man wusste, wer der Gogo war!  

Loys Choquart rekonstruierte die Jam-Band und die Dixie Dandies (für das „Les 40 ans du Jazz“-Festival in Genf, 1977), bei denen Henri Chaix und ich selbst dabei gewesen waren.

(Pierre Bouru, „Le Bonheur était dans le Jazz“, Übersetzung aus dem Französischen: SJO)

-

Zusammengestellt von Thomas Schärer